Donnerstag, 17. August 2023

Am Dienstag ist es passiert, ich bekam unerwartet die Nachricht, der Armin von X-Mist ist verstorben. Was geht, weiß jemand was? Warum?

Der Armin, eine Figur, die in meinem jetzt nunmehr 50-jährigen Dasein eine - wenn auch geringfügige - so doch umso konstantere Größe gewesen ist.

Der Armin von X-Mist, in den 2000ern manchmal liebevoll „Vadder“ genannt. Den Namen hatte er damals in Stuttgart erhalten, als sich gerade eine Konzertgruppe formierte, die sich zum Verein eintragen lassen wollte. Da hatte der Armin dann das nötige Reglement angetragen, dass er von einem, im Schwarzwald bereits existierenden Kulturverein, nach Stuttgart importiert hatte. Damit man eben kein komplett neues Regelwerk erschaffen und aufsetzen müsse, sondern nur noch das bestehende auf die neuen Bedürfnisse anpassen. Damals war Armin häufiger im Stutengarten zugegen.

Aber kennengelernt hatte ich den Armin schon viel früher, durch seine Haupttätigkeit als Musikdealer und Labelbetreiber. In seinem Hauptquartier, bei X-Mist Records, in Nagold. Damals, Ende 90, Anfang 2000 fuhr ab-und-an mal jemand zu Armin in den Laden, um persönlich den neuen, heißen Scheiß bei einem Kaffee serviert zu bekommen. Entgegen der fahrenden Personen war ich selbst aber nur sehr selten bereit für allzu vertrackte und atonale Horizonterweiterungen ala Armin und daher meist nie wirklich großer Fan der Tipps vom Chef. Meistens wurde ich aber in der Billigkiste fündig, da aus meiner damaligen Sicht hier die echten Perlen günstig zu bekommen waren. Möglich, dass hier nicht nur beschädigte Ware günstiger verkauft wurde, sondern auch dem Besitzer gar zu banale und durchschnittliche Sachen ihr trauriges Ende fanden.

Damals lernte ich auch, dass dieser kauzige Typ hinter dem Tresen, der ehemalige Bassist der Band Skeezicks gewesen sein sollte. Eine der ersten deutschen Bands, die echten Hardcore nach US-amerikanischen Vorbild gemacht hatten. Wie die Spermbirds, mit denen es eine Split-Platte gab, die ich besaß. Von diesen Skeezicks hatte ich in der Jugend ein super cooles T-Shirt gehabt, inklusive Schwarzwald Hardcore - Rückenaufdruck. SWXHC!! Charly says: thrash and mosh with Skeezicks!!

Vielleicht genau deshalb wollte der echte lebende Zeitgenosse Armin mal so gar nichts mehr mit durchschnittlicher, gängigen Standards entsprechender Musik zu tun haben. Hatte er die Geburtsstunde des Ganzen ja selbst miterlebt und dem Kind quasi auch noch das Bandana und den Hoodie angezogen.

Sein kurzer Auftritt in der genialen HAMMERHEAD-Biografie zementierte für mich erneut seinen Kultstatus. Zum einen, da er ja die legendäre erste Platte auf seinem Label X-Mist rausgebracht hatte und ganz besonders für den großartigen Kommentar zu Herrn Scheißes Anruf bei ihm. „Wie ist denn der drauf? …Is der so doof oder will er mich verscheißern?“

Auf einem legendären Spanienurlaub 2003 lernen Boris und ich in Barcelona zwei Musiker von Omega 5 kennen, die und deren gesamter Bekanntenkreis extrem die Sachen von X-Mist abfeiern. Je unhörbarer, desto besser. Für sie unverständlich, dass wir weder die Bands kennen, noch mögen.


Eine Begebenheit aber bringt für mich ganz besonders, den speziellen Charakter und die ganz eigene Art von Armin auf den Punkt:

Konzertabend im KOMMA Esslingen, Armin ist auch da und steht mit Plattenkisten im kleinen Saal. Ich freue mich ihn mal wieder zu sehen. Nach dem Austausch der Begrüßungen und Freundlichkeiten wende ich mich den Tonträgern zu und sortiere etwa drei bis vier Platten aus dem mitgebrachten Sortiment. Wie üblich wende ich mich an Armin nach seiner Meinung zu den Platten, die ich gerne kaufen würde, aber leider nicht kenne.

Ich also „Die hier sieht ja wirklich richtig toll aus! Super Cover! Ist die genauso gut?“ Armin: „Ja, also des Bladdecover isch au schon des Beschde an dera Bladd! Des brauchsch nedd!“ „Okay, schade, aber wie isses denn mit der hier? Die soll ja ziemlich gut sein und so in Richtung Oma Hans gehen?“ Armin: „Ha, wenn de eba noch so a Bladde Richtung Dackelblut und Oma Hans brauchsch, kannsch se kaufen. Ich find die langweilig, einfach uninspiriert!“ Meine andere Auswahl war dann leider auch nicht gut genug, um tatsächlich gekauft zu werden.

Die Antwort auf meine resignierte Frage an ihn, ja was er mir denn jetzt eigentlich empfehlen würde, da ich keinesfalls mit leeren Händen nach Hause gehen wolle, war letztlich die eben erschienene Nachpressung der Birthday Party auf einer Platte. Der ehemaligen Punkband vom Nick Cave, die sei einfach wahnsinnig gut und auch heute (damals) noch richtig gut und eben einfach genial, der Nick Cave. Zuhause aufgelegt, war leider schnell klar, für mich tatsächlich unhörbar das Ding, aber natürlich musikhistorisch enorm groß und künstlerisch besonders wertvoll.




Während meine Gedanken die gesamte Zeit darum kreisten, wie absurd das doch eigentlich ist, dass da einer aus Nagold nach Stuttgart kommt und einem seine eigens getroffene Auswahl kaputt redet, anstatt sie mir schmackhaft zu machen oder einfach zu verkaufen. Das fand ich alles ziemlich komisch, aber irgendwie auch beeindruckend, mehr Punk geht fast nicht.

So war für mich der Armin, ein echter Kauz, durch und durch. Extrem nerdig speziell in Bezug auf Musik, aber eigentlich ein extrem netter und hilfsbereiter Typ.

Innerhalb der letzten zwei Jahre bin ich Ute und Armin noch mal irgendwo auf einem Konzert begegnet und hab ihnen das sich mir so stark eingeprägte Erlebnis einfach erzählt. Als mein Sinnbild von Armin, der mit einer echt kleinen Auswahl an Platten daherkommt und dir trotzdem alles ausredet, was er verkaufen könnte. Aber gibt dir letztlich dann doch noch einen echten Schatz mit heim.

Das fanden beide richtig lustig, wussten dann aber auch nicht so genau was noch sagen auf meine komische Geschichte. Ich schon: Bleib so, unkonventionell und eindrücklich. Ein echtes Schwarzwälder Original eben, oder? Um mal die Stereotypen zu bedienen.


Die letzte Order aus Coronazeiten (Slint ‚Spider Land‘) und Armins letzte Nachricht auf Discogs sind jetzt Gedenk-Relikte.


Mit viel Respekt und Liebe verbleibt,

Dein drei Jahrzehnte alter Kunde

- Martin Rühling -


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