Der Blog soll der genaueren Erinnerung an Armin dienen, an seine Arbeit und seine Haltung zu dem, was bis zum heutigen Tag häufig mit frommen Kirchentagseifer als „it´s more than music“ hochgejazzed wird. Und das beinhaltet auch einen Aspekt, der hier ausdrücklich festgehalten werden sollte:
Schon lange vor seinem Tod geriet Armins Arbeit in Vergessenheit. Nein, das ist verfälschend ungenau: Schon lange vor seinem Tod wurde kollektiv seiner musikalischen Haltung und seiner Positionen keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt. Eine 1A-Marginalisierung von denjenigen, die sich zu gerne als weiße Ritter aller Marginalisierten sähen.
Ja, auch für sie gibt es Grenzen – beispielsweise, wenn jemand vorbeikommt und schwierige Fragen stellt. Jemand, der nicht nur Verstand hat, sondern sich auch noch die Mühe macht und von selbigem Gebrauch macht. Und last but not least: Jemand, der Kritik am eigens so schön ausgemalten Wolkenkuckucksheim übt. Auch wenn es in noch sooo schön bunten Farben getunkt ist.
Ein Beispiel für die Marginalisierung? Bitte sehr:
Ein Podcast, der sich schon im Titel vollmundig dem Erinnern von Punkbiographien widmet. Nun denn, das ist nichts Neues. Das Erzählen und Erinnern wurde innerhalb dieses Genres schon immer mit ehrfürchtigem Ernst praktiziert. Schauen wir also einmal auf die Liste der eingeladenen Gäste: Über 100 Menschen, denen jeweils mehrere Stunden Platz und Zeit eingeräumt wird ihr persönliches coming-of-age hinsichtlich ihrer Punk-Genese zu entfalten. Wow, so viele Menschen! Armin - wahrscheinlich einer von nur einer Handvoll Menschen in Europa, die 40 Jahre lang mit ungebrochener Konstanz, Anspruch und Ethos dieses Motto als Lebensinhalt bewahrt haben – na, der wird ja mit Sicherheit einer der ersten sein, der dort Gehör findet!
Er ist der einzige, der fehlt.
Nein, es werden durchaus Gesprächspartner aufgrund ihrer langjährigen Erfahrungen ausgewählt. Und bei all diesen altgedienten Personen fällt explizit sein Name in JEDER Erzählung, wird eigentlich dort überall als Initiale und verlässliche Konstante genannt.
Den einzelnen Personen wird dort Stund' um Stund' Platz und Gelegenheit eingeräumt. Nur Armin eben nicht - er hat dort weder Bedeutung, noch findet er dort Platz.
Und ja, dieses Ignorieren passt schlussendlich doch sehr gut zu einem viralen Image, das ihm über Jahre verpasst wurde - und das effektiver wirkte als jedes Cybermobbing im Klassenchat einer neunten Schulklasse: Das Bild des schlechtgelaunten Spielverderbers / negativen Miesmachers / alles-Scheissefinders etc. Die Beispiele sind so unzählig wie die Unterstellungen, er betreibe aus purer Lust Destruktion des doch an sich so erbaulichen Ansatzes von Punk/Hardcore und redete doch alles und jeden schlecht. Mal ganz abgesehen davon, dass eine solch unterstellte Lust prinzipiell „punkiger“ wäre als – sagen wir mal - 95% Prozent aller Anekdötchen, die quälend langatmig in Podcasts zum Besten gegeben werden, um sodann wieder in der ewigen Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Nein, es ging gerade Armin niemals um Destruktion als Selbstzweck. Es ging um Kritik und den kritischen Austausch.
Aber da – und das wird an seiner Person leider empirisch – wird es für viele dann brandgefährlich und bedrohlich. Schweigen ist eine Tugend, Streiten eine zu verteufelnde Sünde. In solch moralinen Dichotomien lebt es sich konstruktiv im Punk-HC. Lieber innerhalb der Dorfgrenzen bleiben und dort folgende Themenfelder abgrasen: Mein allererster AZ-Besuch / wo gibt es den besten Seitanbraten / Mein großer Initiations-Tag, an dem ich Fat Wreck abschwor, um von nun an Newschool zu hören. Ja, tatsächlich so klein ist diese Welt und soll sie auch bitte bleiben. Wir lassen uns von niemanden in Frage stellen.
Es dient als konkretes Beispiel dafür das Dilemma zu beschreiben, in dem Armin steckte. Wie restriktiv eindimensional das Gros dessen ist, was unter dem Begriff „Punk“ verhandelt wird. Gerade hier kann man das schön nachhören. Das Gerede ist eine Karikatur dessen, was dieser Begriff immer vorgab zu verhandeln: Farblich dufte abgestimmter Gartenzaun-Chat, mit klammheimlichen Interesse an zwischenmenschlichen Pikanterien, die sogleich etwas geil als Triggerwarnungen auf „problematische Inhalte“ herausgestellt werden ( ein Schelm, wer diese inhaltliche Warnungen als gleichzeitige Warnungen vor der sonstigen Inhaltsleere dieses Podcast versteht...). Armin empfand dies allein schon deshalb absurd, weil die Initiale und Genese von Punk doch nichts anderes als ein einziges Problem war! Und für ihn war doch eben das das Reizvolle an Punk, dass es der Trigger für Probleme ist.
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nischig-exkludierend: NOH MERCY |
In jeder zweiten Folge wird irgendeinem Typen in selbstbezichtigender Über-ich-Emphase die Frage gestellt „Was meinst du: Punk/ HC war ja ein ganz schönes Mackerding, oder?“ Auch wer das Format nicht kennt, dürfte auch ungehört ahnen können: Die Antwort darauf ist - wie so häufig in der gut ausgeleuchteten Punk/HC-Welt - austauschbar gleich.Schade um die tolle Chance, zur Abwechslung mal eine interessante Antwort von einem Mann darauf zu erhalten. Armin hätte sie gegeben. Vielleicht hätte sie so oder so ähnlich gelautet:
„Nun, ich weiß ja nicht, was die Anderen antreibt? Aber was interessieren mich schon die Anderen, wenn sie so bleiben wollen, wie sie sind! Für mich kamen die interessanten und spannenden neuen Ansätze IMMER auch federführend von Frauen“ –
Und dann hätte er ihnen das an zahlreichen Beispielen erklärt, wie weiblich sein Punkverständnis gleich zu Anfang geprägt war. Kleenex/Liliput, Malaria, Bush Tetras, Noh Mercy, Y-Pants usw.- eben all die unzähligen Namen, die immer selbstverständlicher Teil seines Referenzrahmens waren, wenn er etwas wirklich AUFREGENDES und SPANNENDES beschreiben wollte. Interessanterweise wäre aber vermutlich ein großer Anteil an Bands und Künstlerinnen dabei gewesen, der von vielen als supernervig/ anstrengend/ überhaupt nicht punkig abgetan worden wäre – oder unbekannt. Woher nun diese Disqualifizierung kommt? Hm, vielleicht sollte sich Weiblichkeit trotz aller vermeintlichen Gendersensibilität dann doch nicht zuviel Eigenständigkeit trauen dürfen? Vielleicht spielen deswegen all diese Bands und Künstlerinnen in diesem HC-Talk überhaupt keine Rolle oder sind unbekannt, waren jedoch aber immer sehr prominent und elementar im X-Mist Katalog gewesen? Auch diese spannende Diskussion, sie hätte mit Armin geführt werden können.
Gleich wie der sich verschließenden Irisblende am Ende eines Stummfilms: Das Bild eines Menschen und vor allem dessen, was er sagt - es wird kleiner und kleiner. Und das klar präsente, offensichtliche, es wird stetig und unaufhörlich vom umschließenden Schwarz geschluckt, bis zu einem winzigen Lichtpunkt - und es dann vollends schwarz bleibt. Die Person und die Handlung ist gewiss noch da, am selben Platz. Doch hat sich die Kamera verschlossen und abgewendet. So hat sich die öffentliche Aufmerksamkeit zu Armin und seinen Positionen verhalten. Lange vor seinem Tod.
Genau auf besagter Plattform, die sich wirklich JEDEN eingeladen hat, nur eben nicht Armin - und zwar ganz einfach aus dem Grund, weil sie das unbequeme meiden, stand kurz nach seinem Tod "Ruhe in Frieden, Armin. Ein großer Verlust." auf ihrer Seite. Kostet nichts, sieht gut aus. Und Tote wehren sich nicht. Und nebenbei kann man sich so dann selbst die noch ins Boot holen, die man im eigenen Podcast in Anwesenheit eines ehemaligen Fanzine-Kollegen lapidar und von selbigen Gast unwidersprochen als „nischig-Exkludierende“ selbst exkludiert hat.
Für all diejenigen sei versichert: Armin hat es schwer getroffen immer wieder damit konfrontiert zu werden, er sei ein negativer Kauz. Mich macht es einfach nur wahnsinnig traurig, dass Armin Gegenstand und Inhalt der Musik aus guten Gründen sehr ernst nahm.
Und wahrscheinlich genau deswegen vergessen wurde.
"Müssen wir über das PLOT reden? Ich habe nicht so Bock" (Stimme 1)
"Müssen wir glaube ich gar nicht!" (Stimme 2)
"HA HA HA!"
... "Das hat doch glaube ich Armin am Ende alleine betrieben,
Ha Ha Ha!"
- Michael Sobott, Beau Travail -